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"one step beyond"
21.04.24, 13:30 Uhr, Niedersachsenstadion
2. Bundesliga Herren, 30. Spieltag
HSV 96 vs. FCSP 1:2 (1:1)
 
5 Uhr und der Wecker klingelt. Völlig unnötig, denn ich bin so nervös, wie lange nicht mehr vor einem Spiel und habe selbstverständlich kaum gepennt. Ich, der all die Jahre immer gesagt hat, dass 2. Liga doch ganz ok ist. Dass wenn wir aufsteigen, vieles nicht besser wird: Die Chancen auf Eintrittskarten und ihre Preise, manche "neuen Fans" im Stadion, die Sprüche von mancheinem und all das halt. Aber nach dieser Erfolgsserie, dieser geilen Saison, diesem zwischenzeitig großen Vorsprungs und jetzt auf einmal diesen Altbier-Spritzern im Nacken und der Gefahr, dass das große Ziel plötzlich doch nicht erreicht wird: Puh, nee, das ist jetzt echt keine Option mehr. Dafür hab ich mich schon viel zu sehr mit dem Gedanken an den Aufstieg angefreundet. Der Bock auf Liga 1 ist tatsächlich groß, größer als je zuvor. Allen negativen Begleiterscheinungen zum Trotz.
 
Ich bin arschmüde und quäle mich in meine Plörren. Ist ja nicht so, als hätte ich die Tage zuvor blendend geschlafen. Die Katze steht ständig im Weg, miau, miau, Hunger, Hunger. Ich stolper, klemme mir den Reissverschluss im Stoff fest und bei dem Versuch diesen zu befreien, reiße ich den halben Reissverschlusseinsatz ab. Mah ey! Schnell noch ne Ersatzjacke suchen, nochmal checken, ob ich alles mithabe. Sieht so aus. Wohnungstür auf und was liegt denn da für ein Zettel auf dem Boden? Oha, meine Eintrittskarte. Die muss beim Jackentaschenübertrag runtergefallen sein. Glück gehabt. Das muss ja ein guter Tag werden, haha. Nun behauptet bitte bloß nicht, meine Nervösität sei mir schon beim lesen anzumerken.

Dass ich die Reise zunächst alleine antrete, stört mich angesichts meines angespannten Ichs auch nicht großartig. Zuhören und sprechen fällt mir an solchen Tagen eine ganze Zeit lang schwer, ich muss erstmal reinkommen in so einen Tag, brauche Ruhe und Zeit für mich und davon dann auch viel. Mein Ego sagt, das geht schon klar so. Zumindest bis ich in Hannover bin. Und der einzige Mensch, den ich in solchen Momenten wirklich gut um mich haben kann, wird heute leider eh nicht dabei sein können.

Ich "liebe" es ja, mich in Konzertberichten primär auf die Anreise zu konzentrieren. Das hier ist zwar kein Konzert und erst recht kein Wunschkonzert, aber da müsst ihr jetzt einfach mal durch: Fußmarsch zum Bahnhof, dann um kurz nach 6 die erste S-Bahn nehmen, so der Plan. Dann mit dem Regionalexpress weiter und ab Minden nochmal S-Bahn bis Hannover. Wenn alles gut geht, bin ich um kurz nach halb 10 in Hannover. Nee, das ist nicht zu früh.

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Nach besagtem 30minütigen Fußmarsch zum Wohnkaffeigenen Bahnhof wird aus der in der DB-App angekündigten Pünktlichkeit plötzlich ein +10, +12, +20 und schließlich +22 Minuten. "Kurzfristiger Personalausfall" und mein Anschluss in Dortmund steht schon auf der Kippe. Mir bleibt nichts anderes übrig, als in ein Taxi zu springen (von hier fährt um diese Zeit nur jede Stunde ne Bahn in Richtung Dortmund und in Minden hab ich auch nur fast unrealistische 5 Minuten Umsteigezeit). Das Taxi fährt auf dem Weg nach Dortmund erstmal schön exakt meine Laufstrecke wieder zurück und schon sind die Ausgaben um 60 Euro gestiegen. Mein Kampf mit den öffentlichen Verkehrsbetrieben, ich könnte Bücher darüber schreiben, wenn ich es nicht indirekt schon längst gemacht hätte. Ob ich davon am Ende wirklich im Rahmen der NRW-Mobilitätsgarantie 30 Euro zurück bekomme, wird sich zeigen. Ich gehe mal davon aus, dass am Ende auf irgendeinem Beleg, auf irgendeiner Quittung oder sonstwas, irgendwas falsch ausgefüllt ist oder sonstwas nicht stimmt. Never ending story.

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Der Rest der Anreise funktioniert dagegen nahezu tadellos. In Hannover angekommen, sind schon einige Leidensgenoss:innen vor mir da. Was soll das? Flott frühstücken, Kaffee, ne Runde durch die City und dann ab zum Stadion. Auf dem Weg dorthin wird mein subjektives Sicherheitsempfinden mal wieder stark herausgefordert: Was die Cops hier aufgefahren haben... da soll nochmal jemand behaupten, Teutschland sei nicht Verteidigungsfähig. Die unendliche Reihe an Wannen wird angeführt vom Wasserwerfer 9000 / NI3 mit einer Pumpenleistung von 2.200 l/min bei 15 bar. Als Einsatzmittel kommen neben 9000 l. Wasser auch CN- oder CS-Reizmittel mit einer Aufnahmemöglichkeit von 160 l in Kanistern à 20 l in Frage. Die zwei motorgetriebene Drehtürme mit jeweils einem Wasserwerfer (Wurfweite: 65 - 70 m bei 20 bar) und 2 Scheinwerfern decken zusammen einen Bereich von 360° ab. Hinzu kommt ein Strahlrohr am Heck (180°) auf Kniehöhe. Aua!

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Einmal ums Stadion, begrüße ich die noch sehr spärlich vorhandenen bekannten Gesichter, trete mit als erster ein um meine Powerbank unfreiwillig abzugeben, den Fanclub-Lappen aufzuhängen (der am Ende vom "Sankt Pauli ist die einzige Möglichkeit"-Banner überhängt wird, nein, keine Kritik, da komm ich klar mit) und versuche mich mit den baulichen Gegebenheiten abzufinden. Das muss ewig her sein, dass ich hier das letzte Mal war. Für Menschen ohne Orientierungsbewusstsein (z.B. ich) und zudem trotz überschaubarer Flüssigkeitsaufnahme schwacher Blase (z.B. ich) ist jeder Gang zum Klo mit großem Planungsaufwand verbunden: Stufen hoch, am oberen Rand des Oberrangs einmal entlang laufen bis zum Kamerapodest, dort den Oberrang wieder runter, durchs Mundloch, dann nach links, nee, doch nach rechts, verdammt, zu spät.

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Auch Menschen mit Höhenangst (z.B. ich) kommen hier auf ihre Kosten, wenn es darum geht, diese zu überwinden. Ja. Die Pommes für 4 Euro sind lecker und salzig, es gibt "RAF" (Radler Alkoholfrei; Ex-Kneipen-Insider) im Stadion, was ich ganz hervorragend finde und ansonsten sind Veganer:innen hier am Arsch. Macht aber nix, weil so ein Stadionbesuch ja primär auf andere Betätigungen als kulinarischen Hochgenuss abzielt.

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Ärgerlich: Away Steh-/Sitzplätze sind mal wieder baulich so getrennt, dass ein Umarmen der liebsten aus Hamburg angereisten Freund:innen innerhalb der Schüssel unmöglich ist. Dafür könnte ich theoretisch ganz viele sitzende H96-Fans umarmen, denn in der gesamten Südkurve sind die Durchgänge zu sämtlichen Nachbarbereichen offen (von rechts nach links und auch von Ober- zum Unterrang und zurück) und es gibt auch keine Blockkontrollen. Geht auch gar nicht anders, wenn mensch bzw. Verein dem Thema Notdurft ernsthaft gerecht werden will.

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Stadion-Beschallung: Tim Armstrong ist zwar ein uncooler Patriot, Rancid im Stadion (und auch Iggy Pop etc.) dennoch bemerkenswert. Ansonsten durchmischt, die Qualität nimmt, so näher wir dem Anstoß kommen, hörbar ab. Spätestens die H96-Hymne macht mir ernsthaft Angst, dass es noch schlimmer werden könnte. Auch wenn es unmöglich erscheint. Aber auch hier besinne ich mich auf meinen primären Anwesenheitsgrund und schalte meine Hörgeräte bis zum Anpfiff einfach aus.

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Positives in Sachen Fankultur: Aufkleber werden hier offenbar nicht vom Reinigungspersonal entfernt. Negativ: Dafür hängt hier dann auch reihenweise Dreck. Negativer Höhepunkt ein Sticker des Tabellenvierten der 3.Liga mit der Aufschrift: "Love Gehacktes, hate Halal", dessen Kleberqualität zum Glück mangelhaft war. Ich frag mich echt, wo der überhaupt herkommt und wie lange der Scheiß da schon hing.

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Amüsantes: Ich hab mich ja schon immer gefragt, was diese Riesenfahnenschwenker:innen in diversen Fußballstadien beim Einlaufen der Teams auf dem Rasen verloren haben. Spätestens heute hat dieser Eventscheiß zumindest mal für Belustigung gesorgt, als einer dieser auf einem vermutlich fest zugeteilten Platz, Opfer der Rasensprengeranlage wurde. Wenige Meter neben ihm drehte sich das Teil und er wurde alle paar Sekunden komplett nassgespritzt, bewegte sich aber keinen einzige Zentimeter von seiner fest zugewiesenen Stelle. Zugegeben tat er mir dabei sogar ein bisschen leid und angesichts seiner Beharrlichkeit bin ich auch ein Stück froh, dass es nur der Rasensprenger war und nicht der WaWe 9000.

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Und dann geht´s auch schon endlich los und ich bin so scheiße nervös. Die Stimmung ist großartig. Ich stehe im eigentlichen Away-Sitzblock W15, der an die "neutralen Blöcke" grenzt und selbst dort ist alles in FCSP-Hand. 8.000? 10.000 FCSP-Fans? Ich kann sowas schlecht schätzen, aber es ist ein gefühltes Heimspiel, auch wenn auf der anderen Seite auch noch 40.000 waren. Neben mir stehen die sehr sympathischen Menschen von der FCSP-Kegelabteilung (Gruß!) und ich freue mich sowieso, dass rings um mich herum alle fröhlich mitsupporten.

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Und das ist auch angesichts der 1.Halbzeit umso nötiger, denn da läuft vieles noch nicht so glatt. Letztendlich hält uns Keeper Nikola Vasilj im Spiel (Kicker-Note 1,5 und "Spieler des Spiels"). Umso bemerkenswerter diese grandiose 2.Hälfte (wenn ich das richtig auf dem Schirm habe wurde da aus einem 7:0-Eckballverhältnis für H96 noch ein 7:4, was schon vieles aussagt). Schiri-Liebling Deniz Aytekin hingegen, den auch ich sehr schätzte, agiert heute nicht ganz so grandios und erscheint mir im Alter etwas eitel oder trotzig zu werden. Anders kann ich mir diese Linie gegen den verbal gerne mal zu aufmüpfigen und vielleicht auch mal zu schnell fallenden Dapo nicht erklären. Schon als er nach wenigen Minuten nahe der Seitenauslinie ohne gegnerische Chance auf den Ball mit Anlauf umgegrätscht wird, staune ich schon über die ausbleibende Verwarnung. Die bekommt stattdessen in der zweiten Halbzeit Dapo selber, als er keinen Bock mehr darauf hat, die nicht geahndeten Fouls gegen sich kommentarlos hinzunehmen. Irgendwie nicht Aytekins Tag (trotz Kicker-Note 2,5), auch was spätere Zweikampfbewertungen und persönliche Strafen angeht, der für mich aber dennoch (fast) immer ein Garant dafür ist, dass zumindest spielentscheidende Szenen nicht falsch bewertet werden (im Sinne von Elfmeter / Platzverweisen, was aber so gesehen auch immer sehr gewagt ist, denn wer weiß schon, was z.B. so eine nicht oder falsch gegebene gelbe Karte am Ende für Auswirkungen hat, wenn ein Spieler sich im weiteren Spielverlauf deswegen etwas zurücknehmen muss oder eben nicht - oder was aus einer nicht gegebene Ecke geworden wäre etc.).

An diesen "spielentscheidenen Szenen", die es zu bewerten gelte, fehlt es dann eh und das ist auch gut so. "Eckstein nach Egge" heißt es schließlich, um uns nach einer weiteren unfassbar geilen Variante auf die Straße des Gewinners zu köpfen. Ich kann es gar nicht fassen. Ich hatte hier mit maximal einem Punkt gerechnet und jetzt führen wir schon wieder. Meine Hände befinden sich wohl öfter an meinem Kopf (raufen, festhalten etc.) als sonstwo. Ich zitter und bibber mich durch die letzten Minuten und reize meine beiden Stimmbänder bis ans Äußere. Aber irgendwie - abgesehen von dem Schuss kurz vor Schluss, den der überragende Nikola glänzend pariert - ist nach dieser erneuten Führung unser Dreier kaum noch in Gefahr. Und dann Schlusspfiff, Erleichterung, Ekstase. Boahr, danke, ey!

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Ich mache mich nach dem Abgefeier des Teams direkt zu Fuß zurück zum Hauptbahnhof. Die Rückfahrt bringt dann insgesamt eine Stunde Verspätung, da der Anschluss in Minden dieses Mal nicht erreicht wird. Funfact: Die letzten Minuten S-Bahn (Dortmund - Homekaff) sind unerträglicher als die Fahrstunden zuvor, da auch das BVB vs. B04-Spiel gerade beendet ist. Meine Fresse, wieviel Scheiße kann ein alter weißer Mann in 10 Minuten labern, wie der Typ da vorne?

So, wegen Verantwortungsbewusstsein abschließend, WARNUNG FÜR ALLE VEGANER:INNEN: Diese Pizzeraria nahe des Bahnhofs in Minden hat zwar eine ausgewiesene vegane Pizza, aber bitte tut euch das niemals an. Mir ist tatsächlich jetzt - einen Tag später - noch schlecht. Ohne Käseersatz, wird der Belag, bestehend aus matschigen roten Zwiebeln und drei kleinen Spinatblättern, mit unendlich viel Öl übergossen, so dass dieses selbst die komplette Pappschalle einnässt. Geschmacklich entsprechend eine Vollkatastrophe. Ja, sorry, aber wo so ein Bericht schon mit sekundären Themen beginnt, da sollte er auch so enden. Gute Nacht!